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SAH WINTERGEHEN

14. März 2010

-Auszüge –

Collagen einer Kollaboration mit Birger Jesch (2004)

in dieser Online Version angereichert mit Gedichten

von Paul Scheerbart aus seiner „Katerpoesie“ 1909

Ingrimm

Eine wilde Fratze
Muß ich schneiden,
Denn dies Leben
Macht mir keinen Spaß.
O, ich möchte nur
Ein altes Rabenaas
Mit verrückter Wollust
In zehntausend Stücke reißen,
Und dann möcht ich
Hübsche Mädchenköpfe
Balsamieren mit verfaultem Tran
Oder andrer ekler Flüssigkeit.
Und dann möcht ich
In den Himmel springen
Und die Sterne fressen
Und zuletzt:
Den ganzen Lebensunsinn
Ohne weiteres vergessen
Und als Ätherwolke
Traumlos weiterschweben.
Dieses, glaub ich, wird mir
Noch einmal gelingen.

Die Zappelpappeljöhre

Mal ist mir alles astral
Und mal so ganz egal.
Ich kenne den längsten Strahl
Und auch das Jammertal,
Wo ich beinah nicht hingehöre,
O du Zappelpappeljöhre!

Moderne Gassenhauer

Der Eremit ist dick und groß;
Er haßt die Nebenmenschen bloß.
Er liebt nur seine Klause
Und bleibt daher zu Hause.
Die ganze Welt ist ihm Pomade.
Die Nebenmenschen sagen: schade!
Das aber rührt den Teufel nicht.
Hat er nur stets sein Leibgericht,
So ist ihm alles piepe –
Der Haß und auch die Liepe.

Hafentraum

Ich hab in dieser ganzen Nacht
Still wie ein Stall geschlafen.
Ich hab in dieser ganzen Nacht
Geträumt von tausend Schafen.

Sie waren alle dick und rund,
Ich aber war nicht ganz gesund,
Ich kam allmählich auf den Hund;
Es war in einem Hafen.

In diesem Hafen trank ich viel
Mit großen Welt-Matrosen,
Die spielten Handharmonika
Und mit den tausend Schafen.

Singende Schlangen

Ich war schon wo,
Da ging es wüste zu;
Ich hatte weder Hemd noch Schuh,
Nur grüne Schlangen
In beiden Händen.
Ich konnte mich nicht drehen
Und nicht wenden.
Doch viele Beutelsterne
Drehten sich um meine Arme
Und sahen aus
Wie schlaffe Luftballons.
Die Schlangen aber sangen.

Groglied

In meinen Adern brennt der stramme Grog;
Pompöser Kohl durchrast mein Eingeweide.
Die kalte Nase steckt im Weltgehirn;
Die heißen Hengste führ ich auf die Weide.
Jetzt, Erdenbürger: Leide! Leide! Leide!

Eine Lichthetäre

Wie ein Lichtstrahl war ich einst,
Zuckte hin und her
Durch die Weltenpracht
In dem Äthermeere.
Quintillionen Wettersterne
Hab‘ ich prickelnd angeblickt.
Oh, ich war geschickt –
Eine Lichthetäre.

Abendtöne

Wozu mich mein Schuh drückt?
Das willst du wissen?
Leg dich nur ruhig
Auf dein Ruhekissen;
Es wird zum Luftballon.
Mit dem gehst du davon.
Und deine Locken –
Die werden klingen;
Du sollst mit ihnen,
Da sie rot sind,
Die gelben Sterne umschlingen!
Ach ja, dein verfluchter,
Alter, dammlicher Luftballon
Wird dich weit bringen.

Durch die alte Türe,
Die so herrisch knarrt,
Kommt der Ofenmann
Mit vielen schwarzen Bechern,
Die so traurig sind wie schwarze Briefe.
Na – was will denn der Ofenmann?
Will er den alten Zechern
Die letzten Tropfen schenken?
Der Ofenmann hat kurze Beinchen;
Sein Leib ist ein großes viereckiges Steinchen.
Und auf dem Steinchen sitzt ein Wachskopf –
Der geht natürlich ganz entzwei,
Denn der Ofen ist ja warm.
Und die schwarzen Becher fallen
Diesem alten Ofenmann
Aus den schwarzen alten Händen
Auf die stillen weißen Dielen.
Und der Wein macht die Dielen naß.
Das macht den Zechern Spaß.
Die Beinchen des Ofenmanns
Brechen entzwei.
Und der schwarze Ofen
Steht an der Wand –
wie einst.

Die großen Flammen

So nehm‘ ich denn die Finsternis
Und balle sie zusammen
Und werfe sie, so weit ich kann,
Bis in die großen Flammen,
Die ich noch nicht gesehen habe
Und die doch da sind – irgendwo
Lichterloh …

Der lachende Engel

Wie war’s doch nur?
Im Himmel schwebten
Große blanke Diskusscheiben –
Auf denen drehten sich blutrote Nüsse.
Doch alles schlug ein böser Geist entzwei.
Ein Engel lacht dazu
Und spritzt mit Vitriol.
Jawohl! Jawohl

Ach ja!

Ach ja! Jetzt weiß ich’s ganz genau!
Von Max und Moritz kam ich her!
Die lagen in einem Syrupmeer
Und waren blöde wie der große Stier.
Es kam ein Strahl durch das Revier
Und hüpfte mit uns Dreien.
Das sollte uns bald entzweien.
Nach jenem Trubel durft ich endlich
So selig ruhen auf dem Zuckersterne,
Der mir aus allen seinen Kratern
Ein glückliches Vergessen dampfte.

GESICHTER WURZELN ZWO, DREI, VIER

14. März 2010

– Auszüge –

Collagen aus einer Kollaboration mit Aloys Ohlmann (2004)

in dieser Online-Version angereichert mit Gedichten aus „Der Stiefbruder“

von Georg Kulka, erschienen 1920


Die Welt verzichtet

So vergib dem All, wenn es ans Nichts
Sich wendend, Worte schleift um unbesiegte
(Schädel) Mauern durch den Staub der Verse,
Ausstrich, der es beklemmt, verschollnen Reim

Und Rätselhaftes würgte und erschrak
(Nicht kicherte): Konstruktion! – und
War’s gestillt (nicht mehr), hart blieb,
Statt mitzuleiden, daß die Welt auf Rotation verzichtet!

Ausflucht

Keine Hoffnung saugt aus meiner Stirne
Eine Sendung, die den Schlaf erschlägt!
Freundin über aufgestülptem Hirne,
Ferne witternd, Dächer dunstig trägt.

Trichter schlössen sich, die heiß uns luden –
War es Tod .. (hohl donnert Ungefähr -);
Leben ließen wir wie Jahrmarktsbuden –
War es Leben .. (Schauen streift kein Meer -).

Glanz lebendigen Gesichtes, rund gestrahlt als Ziel,
Hat der Worte fein gezackte Säge
Ganz gespalten, er fällt ins Profil ..
O Vertrauen, daß ein Blatt sich stürzend rege,

Auferlegtem Andrang folge eigenwillig,
Zierlich von Alleinsamkeit belogen,
Nichts verwehe, das es nicht erfüllt; wie billig
War die Hülle, die ihm Gott entzogen ..

Speiend schleudert schmächtiges Gefäß
Meines Munds die trüben Lauen starrend
An die klaffe Klippe Erde, die, gemäß
Ihrem Ur-Sprung, triftiger verharrend,

Jählings wie in aufgeworfne Frau
Ein Entsiegeln mir auch senkt unendlich –
Gold und Schmerzen schimmern ungenau,
Die empörten Pfade werden ländlich,
Kehren ärmer wieder, doch verständlich,
Und ihr Schatten ballt sich blau – :

Eiland schäume, Seitdem zu vergessen,
Wo es leichter fiele, d e i n e Spur zu sammeln
Und Begegnungen; leicht, unermessen,
Wankend quer durchs Grab den Schrei zu stammeln:

„…


…“


Für ein Pferd

I

Schlag Gestampf. Ist dies der letzte Lauf:
Es gibt ein Gutsein, und höret nimmer auf.
Ritt und Rasen verloht.
Es kommt ein Masten nach Fasten. Ich weiß ein Rasten nach Hasten.
Es ist ein sanfter Reiter,
der heißt Tod.

II

Kolonne wuchs dem harten Wald entgegen,
Der näher harrte, daß sie ihn berühre,
Als (Osten Direktion! ..) schmerzliche Schwüre
Ein edles Tier sprach mit dem Abendsegen.

Ein Bein stach, kühner Baum, in Ungewissen
Und trug Gedärm spätgütig zu den Sternen.
Sie erhoben, um sich zu entfernen,
Ihre Augen brandzerrissen.

III

Sei gesegnet. Dein wurden die Gluten,
In denen die Millionen geistern und verbluten.
Da wir in Sappen winden uns, verzehren
Dich Geliebten Götter sich zu Ehren.

Kehrt euch!! Nie werden deine Lippen lachen,
Wenn Wagenräder und Zugslagen krachen.
Nie fassen Halme Hafer deiner Seele.
Nimmer hüten Mauern das Gequäle

Dieser Nächte, Märsche und Erwachen.
Weh, der Arsch ist Höllenrachen.
Flugbahn denkt an alte Melodien.
Ein Pferd starb weltenlang. Die Wiesen knien.


Dem Libanon

Dem Libanon, dem jüngst im Flügelkleide schwärmenden,
Wuchs heut der Regen bleicher aus der Stirne.
Knatternd, als man die Seide zerbrach.
O du hellhöriger höllhärener Morgen!
Der Tag blieb dir im Munde stecken.
Aber die Wolken poltern sich stauend.
Niemand ist beiläufig – wo Regen das Hirn perforiert,
Erschlagene Blutkörner aufpickt.


Die Aktion

Verknaxte und verspukte Blitze splitterten
Sehr leise noch. „Aufs erste Marschkolonne.“ Los.
Fern die gefesselten Gestirne kühl gewitterten
Und sprangen endlich steif in unsern Schoß,

Der sacht verhehlt flankierte das Geheimnis
Und die betäubte Tiefe sich verkürzte,
Eh‘ der Tag, verzichtend auf das liebliche Versäumnis,
Sich in Abend stürzte.

Wer wird das Unverlorne wiederbringen,
Wagt in den imaginären Friedensnischen
Wie in warmgrünem Nebel, daß die Flocken ihn durchdringen –
Daß sich (oh) die Blüthen mischen!

Nun öffnet sie die Hand dem Ende. Beide
Ziele, die das gute Ungeheure wägt,
Wachsen wie ein Baum, der in geduldigem Leide
Unverziehne Demutskrone trägt.

An solchen Schäumens steile Auferstehung
Prallt vielmals Schnee und wirft sich über Haufen.
Versagt die Welt der neuen Marschkolonne Gleichwicht und Drehung -:
Sie hat sich längst in bessre Welt verlaufen.


Die Geschwister

Flucht aus dem Sonntag: in Stadtwüsten fraß er und fronte,
Ausgelaugt von dem Wort und besudelt mit Tat.
Sonntag: o Narbe der Blutschuld, das nicht mehr bewohnte,
Unter Nacht, unter Schnee verschüttete Grab, das er flüchtend betrat,

Der verschlackte, verkohlte, in starre Klumpen geklebte
Schauder im Schauder, Spiegel im Spiegel; Stiefbruder. Ich.
Ich und das lächelnd ins Abblühn hineingelebte
Antlitz, dichtestem Herzen geschwisterlich,

Wir – ein Hekla spällte den Eisberg – landeten
Losgemacht vom Hafen am Herzen Verstehn.
Engel sang nieder, sank zu den selig Gestrandeten,
Um in den Himmel mit uns sprachlos zurückzugehn.

Aufglimmt, auftönt, aufduftet die Stadt, Sonnen schmelzen und stocken.
Engel des Antangs sprach: Vergehet süßer am Licht.
Gespaltne, Entschwisterte fallen ein, rinnen ein ineinander wie Flocken.
Flocken werden zur Wolke. Wolke, dunkele Thräne, Mutter, ist das Gedicht.


Was bedeutet

Und was bedeutete der helle Schnee
Der Leuchtkugeln, die uns zufielen,
Solange Flatterminen sich im Zwitschern üben!
Die mutige Milchstraße ist zu kurz,

Der Mond ersoff in unserm Graben,
Selbst der öde Abklatsch, den man dort sieht,
Läßt sich nicht erweichen.
Aber die Wurzel unsrer dünnen Gestalt

Ist der Tod. Bald decken wir sie auf;
Und stehen nun wieder
Wie erste Menschen in neuer Erde
Und unter dem unermeßlichen Himmel.


Der Haarige

Aus dem Rig-Veda

Der Haarige trägt das Feuer, der Haarige trägt das Gift, der Haarige trägt beide Welten, des Himmels ganzes Licht zur Schau. Dies Gestirn wird der Haarige genannt.
Die vom Wind Gezügelten kleiden sich in schmutzige gelbe Gewänder, im Zug des Windes fahren sie dahin. Denn in sie sind die Götter eingegangen.
Begeistert von der Munnischaft, sind in die Region der Winde wir aufgestiegen; hier oben seht unsere Leiber, ihr Sterblichen.
Durch die Luft hin fliegt er, alle Gestalten beschauend. Der Munni ist jedes Gottes guter Gefährte beim Wohltun.
Das Meer sein Geburtsort, der Himmel seine Stätte, das Meer, das östliche und das westliche, sein Wohnsitz. Er ist des Windes Roß,
Auf der Bahn der Apsarasen, Gandharven und der Vögel wandelnd, kennt er das Begehren. Er ist der süße, der sehr berauschende Freund.
Vaju quirlte ihm den Trank, Vanama zermalmte darin die Gerstenkörner, als der Lichthaarige mit dem Trinker des Gifts, mit Rudra zechte.


Die Städte

Staubstrahlen stöhnen träumend zuzweit Arm unter Arm zur Arbeit hin, qualmen, in silbernem Sude gebadet, spöttisch über die Plakate, branden ins Meer der Naturen unendliche Helle, bevor sie still in Bild- und Bau-: in Menschenwerk versinken. Stadt starrt aus den eingefallenen Kuppeln; schwarze Brücken hängen schwer vom Himmel, im Morgen ducken Dächer sich bestürzt.


So viele Himmel

Ich bücke sehr müd
Deine Schulter.
Fällt sie um,
Sind die Lippen gerettet.
Gewesen wächst aus ihnen
Ins verwachsene Herz.
So viele Himmel rinnen in den Tag:
Ein fein gesponnener Baum durchkreuzt die Himmel.