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DIE COLLAGE ERFINDET DAS MÖGLICHE

13. März 2010

Über ein Projekt mit Kollaborationsbüchern

Collagen sind lange schon in. In der Hauptsache die Dadaisten haben uns den Weg gewiesen und aus Abfallpapieren und Presse der Zeit intensive Ausrufezeichen collagiert – „soweit ist es mit der Welt gekommen – auf den Telegrafenmasten sitzen die Kühe und spielen Schach!“ Richard Huelsenbeck – die zeigen, daß Kunst durch Zerstörung von altem Sinn und Routine, von Tradition und Muster, neu zusammengesetztes Bewusstsein hervorbringen kann, daß aus dem scheinbar Sinnlosen und aus zur Sprengung gebrachten Begriffen intuitiv anregende neue Weltsichten wachsen und um sich greifen können, die weder beabsichtigt noch vorhersehbar waren.

DADA Collage Raoul Hausmann

In Verlängerung des respektlosen Dada-Gebahrens und mit der Einführung des Gedankens des Recyclings als Kunstmöglichkeit in die Alltagswelt, hat sich das Collagieren in der Welt der Untergrund-Zeitungen der 60er Jahre bis hin zu den Fanzines und Punk-Zeitschriften der 80er Jahre und anderen Underground-Projekten als kunstvolles Stilmittel bewahrt und den sinnzerstörenden Charakter einer respektlosen Kunst in einen respektlosen Umgang mit Copyrightrechten und ein neuen Sinn stiftendes Recycling gewandelt. Ich denke dabei z.B. Rolf Dieter Brinkmanns legendäre Umschlagcollage für seinen Gedichtband „Die Piloten“, an Josef Wintjes’ legendäres Ulcus Molle Info, das eine ganz eigene Ästhetik über Jahrzehnte bewahrte, an Raymond Martins PÄNG, Werner Piepers KOMPOST, an die unzähligen studentischen und friedensbewegten bis anarchistischen Zeitschriften der 68er und Nach-68er bis hin zur Graswurzelrevolution. Zeitungen gestalten hieß: klauen & kleben was das Zeug hält.

Als altem Zeitungsmacher und Selbst-Lay-Outer[1] ist mir das schon seit Mitte der siebziger Jahre selbstverständlich – in Ermangelung eigener Grafik wurde aus allen möglichen Quellen zusammengeschnippelt und benutzt, was schwarzweiß genug war; mein Schatz war eine ausgediente Pralinenschachtel übervoll mit Schnipseln, ausgeschnittenen Grafikelementen, Lettersetfolien etc.. LAY-OUT, das Zauberwort für ansprechende ästhetische Präsenz, war für mich strenggenommen ein Collagieren, ein Zueinanderbringen und Miteinanderverbinden und immer auch ein haptisches Erlebnis mit Schere, Tipp-Ex, Papier, Klebstoff, verklebten Fingern.

Collagen sind im Umkreis der Mail-Art ein stark genutztes Ausdrucksmittel, sie sind für jeden erstellbar, und führen zu ebenso individuellen Ergebnisse wie der Pinselstrich. So waren Collagen eine rasche frühe Liebe bei meinen ersten Kontakten zur Mail-Art-Welt und wurden es im Zeitalter des w³ noch mehr.

In der Mail-Art-Welt entwickelte sich, eher zwangsläufig als zufällig, die Idee, verschiedene Menschen an ein und demselben Bild per Collagieren mitwirken zu lassen und entsprechend gibt es dort regelrechte Spezialisten, die das dualistische Add + Return ausgeweitet haben zu einem Rundbrief-Modell. Und eine weitere Idee befällt früher oder später jeden, der einmal in einem kreativ brauchbaren Dialog mit einem anderen Künstler stand und das Resultat einer ersten Zusammenarbeit vor sich hat. Ideen entstehen rasch und ohne Vorwarnung – eine ungeahnte Liaison zweier eigentlich voneinander unabhängiger Gedanken, dazu eine Vision, ein aufscheinender Pfad. Die Idee bindet aneinander, was zu ihr gehört und sortiert die Wirklichkeit in brauchbare Quanten. So korrodiert das Denken des Unmöglichen und macht Raum für Undenkbares möglich. Die Idee der Kollaboration entsteht. Kollaboration[2] als künstlerischer Dialog.

Die Idee zu so einem  Projekt ist nicht meine eigene. Sie ist Bestandteil und Instrument der Mail-Art schon seit langem und zeigt stellvertretend den inspirierend anarchischen Charakter dieser Kunst, die sich über Eigenschaften und nicht über Stil und Inhalt definieren lässt. Der Gedanke, individuellen künstlerischen Ausdruck gleichberechtigt miteinander zu verbinden, liegt allen Mail-Art-Unternehmungen zu Grunde. Meist verwirklicht in Ausstellungen und damit in einem Nebeneinander. Einige Mail-Artisten gehen weiter und stellen nicht einzelne Kunstwerke in einen demokratischen Konsens, sondern erstellen gemeinsam das Kunstwerk. Indem eine Vorlage zu einem Partner geschickt wird, der frei darüber verfügen und darauf weiterarbeiten kann, vertraut man ihm grenzenlos das Eigene in seiner künstlerisch extrahierten Erscheinung an. Starke Partner geben grenzenlos das Ihre dazu und so entstehen Werke aus der Konfrontation und dem gewollten, friedlichen Konflikt zweier persönlicher Kunstwelten, die von keinem einzeln zu leisten gewesen wären. Je intensiver die individuelle Mythologie gelebt und in der Kunst manifest ist, um so intensiver ist der Konflikt und überraschender sind die Resultate. So können Grenzen des Eigenen verschoben, erweitert, überhaupt geschaut werden und so kann Verstehen eine besondere Form annehmen, die aus der ichlosen Mitte eine vielseitigere Wahrheit der Welt zu generieren hilft.

Das erste Mal tauchte die Idee zu diesem Projekt auf in einer Korrespondenz mit Michael Fox, dem Hildesheimer Mail-Artisten. Sie verknüpfte seine eigenwillige Art der Collage, die er dezent und spartanisch auf grellfarbene, selbst hergestellte Hintergründe komponiert mit meiner Liebe zu eher improvisierender Schwitterschen Form- und Materialkombination und zu surrealen Elementen. Ich hatte ihm Seiten vorgelegt, die er in souveräner Manier zu Hintergründen und Bestandteilen seiner ganz eigenen Collagen machte und ein kurzer heftiger Briefwechsel hob an (der irgendwann aufgrund meiner Phasensprünge in Sachen Kunst und/oder Leben jäh abbrach) – Resultat war ein spiralgebundenes Buch mit den ersten Seiten Kollaborationen.

Schon die Tatsache, daß Michael Fox diese spezielle Bindung benutzte, die normalerweise Bürodamen reserviert ist, um Werbebroschüren & Industrieangebote individualisiert und repräsentierend zusammenzufassen, und eigentlich nicht um Kunstbände zu erstellen, das hatte etwas – aufmüpfig, trotzig, pourqoui pas? Einfach und funktionell und der ursprünglichen Verwendung entfremdet. Ja, so konnte man das machen. Und so konnte man die Blätter noch ungebunden in die Welt schicken, die handwerklich wesentlich einfacher (auch intensiver) zu bearbeiten waren, als wenn sie vorneherein eingebunden wären.

Also schickte ich solche Blätterensembles in die Welt, ich nannte sie „Vorlagenbücher“, waren im Prinzip nur ein Sammelsurium angefangener Collagen, Texturen, Hintergründe mit wenigen ersten Elementen. Das einzelne Blatt sollte schon eine Vorgabe machen, aber noch nicht zu fertig sein, es sollte inspirieren aber nicht einengen und die Reihenfolge der Seiten war offen. Ich sandte in oft großen Abständen nur wenigen Menschen so ein „Vorlagenbuch“, nicht wahllos in die Mail-Art-Welt hinein, sondern bewusst einzelnen Personen, mit denen ich in vertrauensvollen Kontakt geraten war und von denen ich sicher sein konnte, daß sie die Mühe nicht scheuen würden, so ein Buch zu bearbeiten.

Hintergrund war von Anfang an auch, daß die Bücher eines Tages ausgestellt werden würden. Nicht nur – in Auszügen –  auf dieser website,  was eigentlich nur so eine Art Zwischenbilanzierung ist, sondern irgendwann am Ende, wenn eine bestimmte Anzahl erreicht sein wird und das Projekt damit zu Ende geht und dann in konservativer, physischer Form.
Über die letzten Jahre sind bis heute 14 solcher handgearbeiteten Bücher zusammengekommen und sie sind mir ein großer Schatz, denn sie drücken in etwa das aus, was mir an einem persönlichen Netzwerk gut und teuer ist – daß man sich Mühe miteinander macht, daß man füreinander fraglos Energien einbringt, ohne jemals eine andere Dimension als die des Persönlichen und der persönlichen Kunst und Kunstfertigkeit einzubeziehen. Da fragt niemand nach Nutzen, nach Kosten, nach Gewinn oder Verlust. Hier ist eine tatsächlich anarchische Welt zuhause und es liegt dem ein freier Geist zugrunde, der so andernorts nicht mehr zu verwirklichen ist. Wer sich auf das Spiel einläßt, hat die Regeln assimiliert. Regeln, die im Eigentlichen sagen: Tu was Du willst, aber tue es richtig – halte nicht hinterm Berg, sei fair dadurch, daß du dich wirklich einbringst – auf das jeweils vor einem liegende Blatt bezogen heißt das: überklebe, übermale, entferne, füge hinzu, äußere dich s/w oder in Farbe, großflächig oder im Detail – ganz wie es dir, deinem Naturell entspricht. Die Collage ist dazu ja auch ein ideales Mittel, da es in der Wirklichkeit vor keiner Technik haltmacht: man kann auch Worte zueinanderbringen (Cut-Ups), man kann auch Bildinhalte zeichnerisch verbinden (irgendein Kunstforscher meint neuerdings herausgefunden zu haben, daß der größte Teil des Werks von Max Ernst[3] dem Prinzip der Collage unterliegt, auch die Frottagen, die Gemälde und die Zeichnungen – demnach aber, ganz konsequent zu Ende gedacht, wäre fast alle moderne Kunst diesem Prinzip unterworfen, denn streng genommen bringt der Künstler immer Dinge zueinander, kombiniert Inhalte, Formen, Farben), man kann per Hand Kolorieren, Demontieren und und und. Man kann machen und tun in diesen Vorlagenbüchern (die ja zunächst nur vor einem liegende Blätter sind, aber immerhin bis zu 40 Seiten je „Vorlagenbuch“ und damit nicht in einem schnellen Aufwasch zu erledigen, sondern zwangsweise über längere Zeit, von Zeit zu Zeit), was immer man möchte. Auch Angst zeigen und Muffe haben.

Kurt Schwitters

Und so erreichten mich auch „bearbeitete“ Bücher[4], die kaum fremde Spuren aufwiesen, die schüchtern das Vorgelegte ergänzt hatten, mit feinem Strich zu erweitern versuchten, aber auf irgendeine Art und Weise unfertig schienen, weil wohl in zu großem Respekt vor dem Vorgelegten entstanden (oder im Zweifel über die eigene Leistung) – diese Bücher gingen dann noch einmal durch meine Hand – das behielt ich mir vor, daß auch ich noch einmal wirken konnte, verstärken, abschwächen, draufhauen, streicheln, wenn ich es für notwendig hielt. In den allerallermeisten Fällen aber war das Buch fertig, wenn es zurückkam, eindeutig und nicht mehr zu ändern.

So kann das Prinzip der Collage, das Erfinden des Möglichen, zu einem Prinzip einer Zwiesprache werden – in der Kollaboration werden personale Grenzen gerade durch ihre konkrete Setzung und bewußte Definition auf einem gemeinsamen Blatt aufgelöst und damit neues Terrain gefunden, so paradox das klingen mag. Je persönlicher die Stellungnahme des Einzelnen, das Additiv, umso lebendiger der Dialog, das Ensemble, umso einzigartiger die Zwiesprache und ihr Resultat, und um so grenzenauflösender die Wirkung. Der Zwischenmensch wird hier erfunden, einer der mit dem anderen kann, der sich mit dem Anderen nicht stößt, sondern erst durch ihn und mit ihm zum Leben kommt.

Frank Milautzcki, Klingenberg den 23.05.2006


[1] Für mich begann es mit der Schülerzeitung des Gymnasiums, wir machten eine Sondernummer über Gedichte aus dem Knast und wurden glatt verboten. Dann gaben wir eine unabhängige Jugendzeitschrift heraus, schließlich folgten ein Versand für alternative Literatur und später auch ein Cassettenlabel mit angeschlossenem Independent Vertrieb. Schließlich wollten die Rock- und Jazzkapellen aus der Gegend eigene Plakate haben und das Jugendzentrum lud zu irgendwas ein – so gab es immer Verwendung für den Self-made-Layouter.

[2] Kollaboration bezieht sich für mich und meine Projekte immer auf die Zusammenarbeit mit jeweils nur einem weiteren anderen Künstler.

[3] Max Ernst gibt auch eine sehr sinnvolle und brauchbare Definition der Collage: „Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.

[4] Es liegt manchmal auch in der Natur der Sache, weil bisweilen Bearbeitungen auch von dichtenden Kollegen erfolgten, die im Bildnerischen weder geübt noch bewandert sind und so sich Impulse oft eher aus der Zufügung von Text und textähnlichen Strukturen ergaben. Eine Lieblingsidee ist mir – by the way – auch das gemeinsame Verfertigen von Gedichten, wie es einmal Rainer Brambach und Jürg Federspiel gemacht haben, indem Textpassagen aufeinander aufbauten und Verse nacheinander zueinander fanden.