Archive for the ‘Band 4’ Category

BAND VIER ANS KLAPPER-TIER

13. März 2010

-Auszüge –

Kollaboration mit Saza Schröder (2003)

in der Online Version mit Texten von Klabund (1890-1928)

aus dem Band „Harfenjule“ von 1927

Der geistige Arbeiter in der Inflation

Wer nur den lieben Gott läßt walten – Ich arbeite an einer Monographie über die römischen Laren. Am Tage liege ich im Bett, um Kohlen zu sparen. Ich werde ein Honorar von drei Mark erhalten. Drei Mark! Das schwellt meine Hühnerbrust wie ein Segel. Ein kleines Vermögen. Ich werde es in einem Taschentuch anlegen. Wie ich es früher trug und wie die reichen Leute es heute noch tragen. Um vorwärts zu kommen, muß man eben mal leichtsinnig sein und was wagen.

Ein Jahr schon schneuze ich mich in die Hände, nun führt der Allerbarmer noch alles zum guten Ende. Abends, wenn die Sterne und elektrischen Lichter erwachen, da besteige ich des Glückes goldnen Nachen.

Ich stehe am Anhalter Bahnhof. Ergebenster Diener! Ich biete Delikateßbockwurst feil und die ff. heißen Wiener. Manchmal hab‘ ich einen Reingewinn von einer halben Mark. Ich lege das Geld auf die hohe Kante. Ich spare für meinen Sarg.

Ein eigener Sarg, das ist mein Stolz aus Eschen- oder Eichenholz, aus deutscher Eiche. Das Vaterland reichte mir hilfreich stets die Vaterhand. Begrabt mich in deutschem Holz, in deutscher Erde, im deutschen Wald. Aber bald! Wie schläft sich’s sanft, wie ruht sich’s gut, erlöst von Schwindsucht und Skorbut. Herrgott im Himmel, erwache ich zu neuem Leben noch einmal auf Erden: Laß mich Devisenhändler, Diamantenschleifer oder Kanalreiniger werden!

Berliner Mittelstandsbegräbnis

In einer Margarinekiste habe ich sie begraben. Ein Leihsarg war nicht mehr zu haben. Die Kosten für einen Begräbnisplatz konnt ich nicht erschwingen: Ich musste die Margarinekiste mit der teueren Entschlafenen auf einem Handwagen in die Laubenkolonie am schlesischen Bahnhof bringen.

Dort habe ich sie in stockfinsterer Nacht unter Kohlrüben zur ewigen Ruhe gebracht. Aber im Frühling werden aus der Erde Kohlrüben, die sie mit ihrem Leibe gedüngt, zum himmlischen Lichte sprießen, und der Hilfsweichensteller Kraschunke wird sie zum Nachtmahl genießen. Während sie noch in der Pfanne (in Margarine-Ersatz) schmoren und braten, bemerkt Frau Kraschunke erfreut: „Die Kohlrüben sind dieses Jahr aber ungewöhnlich groß geraten …“

Baumblüte in Werder

Tante Klara ist schon um ein Uhr mittags besinnungslos betrunken. Ihr Satinkleid ist geplatzt. Sie sitzt im märkischen Sand und schluchzt. Der Johannisbeerwein hat’s in sich. Alles jubelt und juchzt und schwankt wie auf der Havel die weißen Dschunken.

Waldteufel knarren, und Mädchenaugen glühn. Mutta, Mutta, kiek ma die Boomblüte. Ach du liebe Güte – Die Blüten sind alle erfroren. Ein einsamer Kirschbaum versucht zu blühn.

Eisige Winde wehn. In den Kuten balgt und sielt sich ein Kinderhaufen. Der Lenz ist da: ertönt es von Seele zu Seele. Ein schon melierter Herr berappt für seine Tele, die ein Kinderbein für ein Britzer Knoblinchen hielt.

Vater spielt auf der Bismarckhöhe mit sich selber Skat und haut alle Trümpfe auf den Tisch, unbeirrt um das Wogen und Treiben der Menge. Braut und Bräutigam verlieren sich im Gedränge, ach, wie mancher erwacht am nächsten Morgen mit einer ihm bis dato unbekannten Braut.

Mutter Natur, wie groß ist deiner Erfindungen Pracht! Vor lauter Staub sieht man die Erde nicht. Tief geladen, mit Klumpen von Menschen beladen, sticht ein Haveldampfer in See. Schon dämmert es. Ueber den Föhren erscheint die sternklare, himmlische, die schweigsame Nacht.

Grabinschriften

Der Pferdedieb.

Hier ruht der ehrenwerte General Don Ferdinando D’Or. (Er bekleidete nämlich diese Charge im Staate Ecuador.) Seine Brust war bedeckt mit Ehrenzeichen und Symbolen. (Die er auf zahlreichen Fahrten sich zusammengestohlen.) Erschüttert steht ganz Ecuador an seiner Bahre. Er starb glorreich im dreiundfünfzigsten Jahre. In offener Feldschlacht (infolge eines Rückenschusses) mußt er ins Jenseits wandern, (weil er sein eigenes Pferd verwechselte mit einem andern.)

P i e r r o t.

Hier ruht Pierrot, der leichte Schwerenöter. Ach, er ist tot! Der Himmel, böt er auch alles auf, ihn wiederzuerwecken: Er bliebe doch bei einem Herzen stecken. Doch weit in tausend Frauenherzen verstreute Pierrot sein Leben. Es hat in seiner Brust tausend Herzen gegeben. Und ob auch manche Frau ihr Herz als Sühne bot: Pierrot ist tot, ganz tot, er ist entsetzlich tot.

Die Jungfrau.

Hier ruht die Jungfrau Emma Puck aus Hinterstallupeinen, eine Mutter hatte sie eine, einen Vater hatte sie keinen. In Unschuld erwuchs sie auf dem Land wie eine Lilie. Da kam sie in die Stadt zu einer Rechnungsratsfamilie. Hier hat sich erst ihr wahres Herz gezeigt, indem sie gar nicht mehr zur Jungfrau hingeneigt. Bald kam das erste Kind. Was half da alles Greinen! Männer hatte sie viel, aber einen Mann hatte sie keinen.

Zu Amsterdam

Zu Amsterdam bin ich geboren, meine Mutter war ein Mädchen ums Geld. Mein Vater hat ihr die Ehe geschworen, war aber weit gefehlt.

In einer dunklen Gasse, sah ich zum erstenmal das Sonnenlicht. Ich wollte es mit meinen Händen fassen, und konnt‘ es aber nicht.

Ein junger Mann kam eines Tages, und küßte mich und rief mich seinen Schatz. Sie legten bald ihn in den Schragen, ein anderer nahm seinen Platz.

Wir sind im Frühling durch den Wald gegangen und sahen Hirsch und Reh. Die Bäume blühten und die Vögel sangen, vierblättrig stand der Klee.

Ein jeder hat mir Treu‘ in Ewigkeit geschworen, war aber weit gefehlt. Zu Amsterdam hab‘ ich mein‘ Ehr‘ verloren, ich bin ein Mädchen um’s Geld.

Die Wirtschafterin

Drei Wochen hinter Pfingsten, da traf ich einen Mann, der nahm mich ohne den geringsten Einwand als Wirtschafterin an.

Ich hab‘ ihm die Suppe versalzen und auch die Sommerzeit, er nannte mich süße Puppe und strich mir ums Unterkleid.

Ich hab‘ ihm silberne Löffel gestohlen und auch Bargeld nebenbei. Ich heizte ihm statt mit Kohlen mit leeren Versprechungen ein.

Ich habe ihn angesch … so kurz wie lang, so hoch wie breit. Er hat mich hinausgeschmissen; es war eine wundervolle Zeit …

Im Obdachlosenasyl

Ich war’n junges Ding, man immer frisch und flink, da kam von Borsig einer, der hatte Zaster und Grips. So hübsch wie er war keiner mit seinem roten Schlips. Er kaufte mir ’nen neuen Hut, wer weiß, wie Liebe tut. Berlin, o wie süß, ist dein Paradies. Unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat. Schwamm drüber. Tralala.

Ich immer mit’n mit. Da ging der Kerl verschütt. Als ich im achten schwanger, des Nachts bei Wind und Sturm, schleppt ich mich auf’n Anger, vergrub das arme Wurm. Es schrie mein Herz, es brannte mein Blut, wer weiß, wie Liebe tut. Berlin, o wie süß ist dein Paradies, unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat, Schwamm drüber. Tralala.

Jetzt schieb ich auf’n Strich. Ich hab’nen Ludewich. In einem grünen Wagen des Nachts um halber zwee, da ha’m sie mich gefahren in die Charité. Verwest mein Herz, verfault mein Blut, wer weiß, wie Liebe tut. Berlin, o wie süß ist dein Paradies. Unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat, Schwamm drüber. Tralala.

Krank bin ich allemal. Es ist mir allens ejal. Der Weinstock, der trägt Reben, und kommt ’n junger Mann, ich schenk‘ ihm was für’s Leben, daß er an mich denken kann. Quecksilber und Absud, wer weiß, wie Liebe tut. Berlin, o wie süß ist dein Paradies. Unsere Vaterstadt schneidige Mädchen hat. Schwamm drüber. Traiaiu

Ich baumle mit de Beene

Meine Mutter liegt im Bette, denn sie kriegt das dritte Kind; meine Schwester geht zur Mette, weil wir so katholisch sind. Manchmal troppt mir eine Träne und im Herzen puppert’s schwer; und ich baumle mit de Beene, mit de Beene vor mich her.

Neulich kommt ein Herr gegangen mit ’nem violetten Shawl, und er hat sich eingehangen, und es ging nach Jeschkenthal! Sonntag war’s. Er grinste: „Kleene, wa, dein Port’menée is leer?“ und ich baumle mit de Beene, mit de Beene vor mich her.

Vater sitzt zum ‚zigsten Male, wegen „Hm“ in Plötzensee, und sein Schatz, der schimpft sich Male, und der Mutter tut’s so weh! Ja so gut wie der hat’s Keener, Fressen kriegt er und noch mehr, und er baumelt mit de Beene, mit de Beene vor sich her.

Manchmal in den Vollmondnächten is mir gar so wunderlich: ob sie meinen Emil brächten, weil er auf dem Striche strich! Früh um dreie krähten Hähne, und ein Galgen ragt, und er …, und er baumelt mit de Beene, mit de Beene vor sich her.

Der kleine Mörder

Er wußte nicht, warum er so elend war und warum der Himmel an jenem Abend so schwelend war. Sein Schädeldeckel war aufgeklappt und Fliegen setzten sich auf sein rosiges Hirn und leckten daran. Göttliche Gedanken schienen ihn zu durchirr’n. Wenn er das Messer nähme und sich die große Zehe abschnitt? Oder ginge er lieber auf den Abtritt, und spielte mit sich, über den Abfluß geneigt? – da hat sich seine kleine Schwester in der Küche gezeigt. Er hob ihr den Rock hoch und stieß ihr die große Kelle in den Schoß, daß sie schrie. Ihn trug die Welle des Abendrotes durch die Wolken hin. Er sah nichts mehr. Er fühlte nichts mehr. Ihn trieb die rote Flut, das rote Meer zu einem uferlosen Ziel. Er fiel lächelnd über die kleine Leiche hin.

Der Verzweifelte

1

Noch nie hat mir der Herbst so weh getan, daß ich mich ohne Freundin blaß begnüge. Am Bahnhof steh‘ ich oft und seh‘ die Züge einlaufen nach des Kursbuch’s rotem Plan.

Hier kommt ein Zug um fünf und dort um sechs. Der aus Polzin. Und der aus Samarkand. So oft ich mich an eine Frau gewandt, entfloh sie mit dem Zeichen höchsten Schrecks.

Man wundert sich, daß ich so kopflos bin und daß ich ohne Beine gehen kann, und daß ich ohne Männlichkeit ein Mann, und daß ich ohne Sinnlichkeit ein Sinn.

2

Mich liebt kein Mensch. Ich sitze hier beim Tee. Es schmerzt das Herz, die Niere tut mir weh. Die Mädchen, welche mich geschminkt begrüßen, sie sind mit großer Vorsicht zu genießen.

Sie stellen mit des Abenteurers Buntheit Anforderung an unsre Gesundheit. Die ist mir heilig. Etwas andres nicht. Kein Mensch, kein Tier, kein Stern und kein Gedicht.

Wenn ich hier Verse reimend niederschreibe, geschieht es nur zu meinem Zeitvertreibe. Man glaube nicht an Absicht oder Zweck. Ich bin ein hirnlich infizierter Dreck.

Der fiel von einem Pferd, das fern enttrabt. Ich werde weder gern noch sonst gehabt. Man sieht durch mich hindurch. Man geht an mir vorbei. Und niemand hört des Stummen Klageschrei.

Der Seiltänzer

Er geht. Die schräge Stange trägt ihn linde. Der Himmel schlägt um ihn ein Feuerrad. Ein Lächeln fällt von einem mageren Kinde, und an dem Lächeln wird die Mutter satt.

Ein jeder fühlt sich über sich erhaben und tänzelt glücklich auf gespanntem Seil. Die Menschen wimmeln braun wie Küchenschaben, und sind dem Blick der Höhe wehrlos feil.

Dort unten hockt in schmutzigen Galoschen das Niedere und Gemeine, und es hebt die Stirn zur Höhe fürzwei povre Groschen, an denen feucht der Schweiß des Werktags klebt.

Melancholie

Schau, den Finger in der Nase, oder an der Stirn, zeitigt manche fette Phrase das geölte Hirn.

Warum liebt der die Erotik? Jener die Zigarrn? Der die Aeropilotik? Der den Kaiserschmarrn?

Warum geht’s uns meistens dreckig? Weshalb schreib ich dies Gedicht? Warum ist das Zebra fleckig und Mariechen nicht?

Dennoch ahnt man irgendwie Gottes Qualverwandschaft, trifft man unerwartet sie draußen in der Landschaft.